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Frischer Wind: neues öbv-Führungsduo im Interview

Titelbild Magazin

Seit Jänner 2024 führen Christina Hauer und Philipp Nussböck als neue Geschäftsführung den öbv (Österreichischer Bundesverlag) in die Zukunft. Christina Hauer ist bereits seit zwei Jahren im Management des öbv tätig, Philipp Nussböck bringt externe Expertise aus der Medienbranche in das Bildungsunternehmen ein. Im Interview sprechen sie über ihre Pläne, die Bildungsangebote des öbv weiterzuentwickeln und dabei die 250-jährige Tradition mit Innovation zu verbinden. Sie verraten, was sie motiviert, die Zukunft der Bildung mitzugestalten und ob sie selbst heute gern noch einmal die Schule besuchen würden.

Was haltet ihr aktuell für die größten Herausforderungen im Bildungsbereich?

Christina Hauer: Eine der größten Herausforderungen ist die Chancenungleichheit. Bildung wird in Österreich vererbt, die Bildungsschere öffnet sich immer weiter. Wir lassen ganz viel Potential liegen, indem wir es nicht schaffen, allen jungen Menschen eine gute Bildungskarriere und in weiterer Folge eine Teilhabe an unserer Gesellschaft zu ermöglichen.

Philipp Nussböck: Auch der Lehrkräftemangel fordert das Bildungssystem sehr heraus, viele Lehrer*innen arbeiten zur Zeit unter wirklich schwierigen Bedingungen. Und die Digitalisierung bietet zwar viele Chancen für die Schulen, aber eine solche Transformation sinnvoll zu gestalten, ist nicht leicht.

Christina Hauer: Stimmt! Letzten Endes bin ich aber überzeugt, dass all das nur Auswirkungen eines dahinter liegenden Problems sind: Es scheint, als wären wir uns als Gesellschaft gar nicht im Klaren darüber, wofür wir unsere Kinder überhaupt ausbilden. Es fehlt ein grundlegender Konsens, eine Vision für die Bildung, auf die wir unser Schulsystem ausrichten können.

Welche Rolle kann dabei der öbv spielen?

Philipp Nussböck: Zunächst einmal das ganz Naheliegende: Wir können durch innovative Bildungsangebote zur Lösung beitragen: Produkte, die Lehrkräfte entlasten, Digitalisierung smart und in sinnvollem Maß integrieren und ganz individuelle Fördermöglichkeiten bieten.

Christina Hauer: Uns liegt aber Bildung auch darüber hinaus am Herzen. Wir sehen es als unsere Verantwortung, mitzugestalten, wie die Bildung der Zukunft aussehen wird. Darum werden wir aktiv zum Bildungsdiskurs beitragen, konstruktive Gespräche anstoßen und unser Netzwerk und unsere Expertise nutzen, um an Lösungen mitzuarbeiten.

© Wirlphoto

Den öbv kennen viele als Schulbuchverlag. Sind Schulbücher im digitalen Zeitalter denn noch relevant?

Christina Hauer: Absolut! Gedruckte Schulbücher werden zwar mit Digitalem ergänzt – jetzt schon und in Zukunft wahrscheinlich noch stärker, daran arbeiten wir ja auch. Doch gedruckte Bücher werden weder aus unserem Alltag noch aus der Bildung verschwinden, davon bin ich überzeugt. Nicht nur, weil unsere Kinder und Jugendlichen ohnehin schon viel zu viel Zeit vor Bildschirmen verbringen – jeder, der selbst Elternteil ist oder Kinder im Umfeld hat, weiß um die täglichen Screen-Time-Diskussionen. Beim Lesen von Büchern bleibt auch erwiesenermaßen mehr hängen, es fördert die Kreativität und einige Lernmethoden lassen sich mittels gedrucktem Material am besten vermitteln. Ein sinnvoller Mix zwischen digital und analog macht es aus.

Philipp Nussböck: Unsere Aufgabe ist es, traditionelle Medien mit digitalen Elementen verantwortungsvoll zu verknüpfen, um interaktives und multimediales Lernen zu ermöglichen. Wir integrieren digitale Technologien, um zukunftsorientierte Bildungsmedien zu gestalten, die Lehrkräfte wie auch Schüler*innen beim Lehren und Lernen flexibel und innovativ unterstützen, aber gleichzeitig die fundierte und verlässliche Wissensbasis bieten, für die wir bekannt sind. Und wir setzen uns dafür ein, dass sinnvolle Rahmenbedingungen für diese neu entstehenden Bildungsmedien geschaffen werden.

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Ihr seid beide (vor einer kürzeren oder längeren Weile) in den Bildungsbereich gewechselt. Was hat euch dazu motiviert?

Philipp Nussböck: Für mich ist Bildung der Eckpfeiler unserer Gesellschaft. Wir können es uns einfach nicht leisten, ein schlechtes Bildungssystem zu haben. Die Gelegenheit, daran mitzuwirken und etwas zu verändern, motiviert mich enorm.

Christina Hauer: Ich habe mich vor einigen Jahren aus meinem Job in der Privatwirtschaft auf Sinnsuche begeben. Als ich mich damals ehrenamtlich in einem Lerncafé engagiert habe, ist mir bewusst geworden, wie unterschiedlich die Chancen sind, die junge Menschen haben und wie sehr mir Bildung am Herzen liegt.

Warum hat sich der öbv für ein Führungsduo entschieden?

Christina Hauer: Die Entscheidung für eine Doppelspitze war eine Antwort auf den Wandel, den wir im Bildungsbereich aktuell erleben. Der Österreichische Bundesverlag ist gewachsen und deckt mittlerweile viele unterschiedliche Bereiche ab. Diese organisatorische Komplexität erfordert mehr Betreuung und Aufmerksamkeit.

Philipp Nussböck: Genau – und gerade in so einer Situation profitieren wir davon, dass Christina und ich unterschiedliche Perspektiven auf eine Situation haben. Im Französischen gibt es dafür das Wort „émulation“, ein produktiver Austausch verschiedener Blickwinkel, der uns stärker macht.

Christina Hauer: Das kann ich nur bestätigen! Ich arbeite nicht gern allein, sondern bin froh, dass wir uns als Sparring Partner haben, uns im Führungsduo austauschen und immer wieder unsere Sichtweisen abgleichen können.

Wenn ihr eine Zeitmaschine hättet, in welche Epoche der Bildungsgeschichte würdet ihr reisen und warum?

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Christina Hauer: Ich würde definitiv in die Zukunft reisen. Ich hoffe, dass wir es irgendwann schaffen, ein Bildungssystem zu haben, das es Kindern wirklich ermöglicht, ihre Potenziale zu entfalten. Weg von bürokratischen Strukturen, starren Fächergrenzen und Frontalunterricht. Ein System, das auf die Bedürfnisse der Kinder ausgerichtet ist und in dem Lehrkräfte junge Menschen individuell beim Lernen begleiten. Wie lange es dauert, bis wir dort ankommen, weiß ich nicht – aber wir werden uns dafür einsetzen und möchten es mitgestalten.

Philipp Nussböck: Jetzt wäre es ja langweilig, wenn ich auch in die Zukunft reisen würde. Dann würde ich, wenn das mit der Zeitmaschine auch geht, gerne Hogwarts besuchen. Den magischen Büchern mit sich bewegenden Bildern und veränderlichen Inhalten sind wir durch neue Technologien ja schon ein bisschen näher gekommen. Zum Beispiel gibt es Systeme wie Studyly, die jungen Menschen individuell auf ihren Lernfortschritt zugeschnittene Erklärungen und Aufgaben anzeigen. Oder Bücher, die man mit unserer Quick Media App scannen kann und sofort dazugehörige Videos, Audios & Co angezeigt bekommt. In der magischen Welt sind physische und virtuelle Lernumgebungen nahtlos verschmolzen – ich glaube, dahin werden sich auch unsere Bildungsmedien entwickeln. Vielleicht wartet dort ja noch mehr Inspiration auf uns!

Welche berühmte Persönlichkeit, lebend oder historisch, würdet ihr gerne als Autor*in für ein Schulbuch oder Bildungsmedium gewinnen?

Philipp Nussböck: Ich würde Berthold Brecht wählen. Oder Stefan Zweig! Das waren für mich in meiner Schulzeit die zwei Autoren, die mir die schönsten Geschichten mit Bezug zur Realität erzählt haben. „Sternstunden der Menschheit“ von Stefan Zweig ist heute noch mein Lieblingsbuch. Ihre Art, Dinge zu vermitteln, die ihnen am Herzen lagen, und Leser*innen mitzureißen, finde ich faszinierend und inspirierend für ein Schulbuch.

Christina Hauer: Auch wenn es viele spannende Persönlichkeiten gibt: Ich fände es sehr interessant, einmal jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, selbst ein Bildungsmedium zu gestalten. Wir vergessen in der Bildungsdebatte oft auf die, die direkt von Schule betroffen sind, nämlich Schülerinnen und Schüler. Und ich kann mir vorstellen, dass sie ganz spannende neue Ansätze haben, was ein Schulbuch oder Lernmedium bieten muss.

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 Würdet ihr heute gern nochmal in der Schule sitzen?

Philipp Nussböck: Ja, ich würde gern nochmal in der Schule sitzen. Ich habe nichts mehr genossen als die Schulzeit meiner Tochter! Ich habe so viel gelernt in diesen letzten zwölf Jahren. In der Schule funktionieren ja viele Dinge gut, auch wenn wir oft mehr über die Probleme sprechen. Lernen ist sowieso eine lebenslange Tätigkeit. Jetzt würde ich am liebsten Fächer besuchen, die ich damals nicht hatte, zum Beispiel Digitale Grundbildung oder Sprachen wie Chinesisch oder Arabisch.

Christina Hauer: Ich würde für einen Aspekt wieder gerne in die Schule gehen und zwar für dieses Gemeinschaftsgefühl. Wenn man in einer Gruppe von Mitschüler*innen jeden Tag so viel Zeit verbringt, entwickelt sich eine ganz besondere Dynamik. Und selbst wenn man sich nicht so gut verstanden hat und sich nur alle 10 Jahre bei Matura-Treffen sieht, ist das eine ganz eigene Stimmung. Was ich nicht vermisse: mich 50 Minuten lang zu vorgegebenen Themen berieseln zu lassen. Da suche ich mir heute lieber selbst Themen aus, die mich interessieren oder wo ich mich weiterbilden mag und höre Menschen zu, die davon eine Ahnung haben.

Tags : Geschäftsführung