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Von wegen politikverdrossen

Pascal Günsberg Lehrer, Gründer und Geschäftsführer

Junge Menschen engagieren sich. Nicht nur bei Fridays For Future, gegen Abschiebungen oder für bessere Bildungschancen an Schulen und Universitäten, sie bringen sich in aktuelle Debatten ein und verlangen gehört zu werden. Das bemerken auch Pascal Günsberg und Christian Pöltl-Dienst. 2018 haben die beiden Geschichts- und Geografielehrer PolEdu gegründet: eine parteiunabhängige Plattform, die jungen Menschen Raum für politischen Diskurs und Möglichkeit zu parteiunabhängiger Partizipation bietet. Im Interview sprechen sie über die Hintergründe ihrer Initiative.

Christian Pöltl-Dienst Lehrer, Gründer und Geschäftsführer

 

Eure Plattform PolEdu setzt politikinteressierte Jugendliche voraus. Oftmals wird die österreichische Jugend „politikverdrossen“ genannt. Ist das gerechtfertigt?

Pascal: Wir erleben täglich Schüler*innen, die rege über Themen diskutieren, die Ursachen verstehen und Lösungen finden wollen – das ist für mich das Gegenteil von Politikverdrossenheit.

Christian: Natürlich hängt das Engagement auch vom Thema ab. Hier vergleiche ich uns gerne mit Journalist*innen – wir überlegen, welche Themen wir vermitteln wollen und wofür sich die Zielgruppe interessiert. Wir wählen Themen, die junge Menschen und ihr Leben betreffen. Das sind mehr Themen, als sie denken.

Bemerkt ihr bei Jugendlichen auch ein Interesse für Themen, die für uns als Gesellschaft wichtig sind, jedoch sie als Gruppe nicht akut betreffen?

Christian: Diese Empathie vermisse ich oft. Ich habe auch das Gefühl, dass diese Bereitschaft schon mal höher war. Trotzdem treffe ich sehr viele junge Menschen mit menschlicher Wärme und solidarischem Denken – ich wünsche mir, dass sich noch mehr von ihnen zu Wort melden und engagieren.

Pascal: Man muss hier bedenken, dass Jugendliche in den letzten Jahren im ständigen Krisenmodus lebten – vor allem wegen der Pandemie, aber auch aufgrund von Krieg, dem Klimawandel oder politischen Krisen. Ich verstehe, dass die Energie für weitere Debatten fehlt und die eigenen Sorgen in den Fokus rücken.

2016 wurde Geschichte zu Geschichte & Sozialkunde bzw. Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung“. Wie viel Raum nimmt Politische Bildung hier ein?

Pascal: Das hängt leider stark von der Lehrperson ab. Nach einer Studie von Mittnik gab es in den letzten Jahren bei Maturafragen, die auf dem Curriculum basieren,  mehr Fragen zu antiken Geschehnissen als zu politischer Bildung. Ob das zeitgemäß ist, ist fraglich. Obwohl die politische Bildung dem Grundsatzerlass 2016 folgend Teil eines jeden Faches sein sollte, ist sie im gesamten Schulunterricht unterrepräsentiert.

Viele fordern, politische Bildung müsse unparteiisch sein. Gelingt das Lehrpersonen, die letztlich Menschen mit politischer Haltung sind?

Christian: Das ist ein Irrglaube: Politische Bildung muss nicht unabhängig vermittelt werden. Jeder Lehrer, jede Lehrerin, hat eine politische Haltung und eigene Werte. Ich darf meinen Schüler*innen natürlich nicht sagen, wen sie wählen sollen. Solange ich meinen Standpunkt jedoch nicht als den einzig wahren darstelle, darf ich durchaus Position beziehen. Ich sehe es sogar als unsere Aufgabe, demokratische Werte zu vermitteln.

Pascal: Als Lehrperson ist es wichtig, wahrzunehmen, welche Rolle die Schüler*innen gerade brauchen. Manchmal braucht es nur die Moderation einer Diskussionsrunde. Manchmal ist es wichtig, selbst Teil des Diskurses zu sein. Raum für Meinungsvielfalt muss es immer geben. Herrscht im Klassenzimmer Konsens, bietet es sich an, eine Gegenmeinung zu präsentieren. So gibt man Denkanstöße, zeigt andere Perspektiven auf und vermittelt die Wichtigkeit von Toleranz.

Welche Kompetenzen braucht man als (junger) Mensch, um das politische Geschehen zu verstehen und partizipieren zu können?

Christian: Wir haben die klare Aufgabe vier Kompetenzbereiche zu vermitteln: Sach-, Methoden-, Handlungs- und Orientierungskompetenz. Jede davon ist wichtig – im Mittelpunkt stehen für mich die zwei letzteren. Hier geht es um Meinungsbildung und die Möglichkeiten politischer Partizipation. Es muss für Schüler*innen spürbar sein, dass ihnen in unserem System eine Rolle zukommt, wo sie Mitspracherecht haben und etwas bewirken können.

Was wünscht ihr euch für die Klasse Zwanzig Zukunft? Wo sehr ihr die stärksten Hebel für politische Bildung?

Pascal: Wir brauchen mehr Zeit für politische Bildung, in Form von politischem Diskurs in Kleingruppen, wo alle Schüler*innen aktiv teilnehmen. Und das bereits ab der Volksschule. Dafür benötigt es mehr Flexibilität bei Curriculum und Stundenverteilung. Auch der Arbeitsmarkt wurde flexibler, digitaler und vielfältiger. Das würde auch der Schule guttun: Ein flexibles, digitales, vielfältiges Korsett, innerhalb dessen essenzielle Kompetenzen vermittelt werden.

Christian: Darüber hinaus brauchen wir eine durchgängige Demokratisierung des Schulsystems, zum Beispiel indem die Landesprecher*innen von allen gewählt werden. Auch das Klassenzimmer muss durchdacht werden: Wenn die Schüler*innen so sitzen, wie sie seit Maria Theresia sitzen – der Lehrer redet und die Schüler*innen hören zu – dann spiegelt das keine demokratische Gesellschaft wider, in der Engagement und Proaktivität erwünscht sind. Wir müssen Schüler*innen zeigen, dass sie in der Schule mitgestalten und mitsprechen können und sollen.


Dieser Artikel ist für das Magazin klassezwanzigzukunft im Rahmen des Jubiläums „250 Jahre öbv“ entstanden.