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Mentale Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen

Carina Reithmaier, Initiatorin von „Gut, und selbst?“ und des Mental Health Jugendvolksbegehrens sowie Bundesobfrau der Schülerunion Österreich, erzählt im Interview wie Sie mehr Bewusstsein für die mentale Gesundheit von Schüler*innen schaffen möchte.

Was ist die psychische Gesundheit?

Reithmaier: Psychische Gesundheit – im Englischen auch „Mental Health“ genannt – umfasst unser emotionales, soziales und psychisches Wohlbefinden. Sie beeinflusst wie wir denken, fühlen und handeln. Dazu zählt auch unser Umgang mit Stress, mit anderen Personen und welche Entscheidungen wir treffen. Psychische Gesundheit ist also in jeder Lebensphase wichtig, vor allem für Kinder und Jugendliche. Es gibt viele Faktoren, die unsere psychische Gesundheit prägen. Dazu zählen einerseits biologische Komponenten, wie Gene in unserem Erbgut, da Tendenzen bezüglich psychischer Gesundheit ähnlich wie Erbkrankheiten weitervererbt werden können. Andererseits prägen uns unsere Lebenserfahrungen – sowohl positive als auch negative, wie Trauma oder Missbrauch, die sich auf unsere psychische Gesundheit auswirken. Negative Gedanken haben wir alle schon gehabt und psychische Probleme sind weit verbreitet. Trotzdem fällt es den Betroffenen schwer darüber zu reden oder sich Hilfe zu holen, weil Angst und Scham überwiegen. Genau das wollen wir mit unserer Initiative „Gut, und selbst?“ ändern.

Warum ist es wichtig darauf zu achten?

Reithmaier: In den vergangenen Jahren hat sich die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen immer weiter verschlechtert. Durch die Covid-19-Pandemie hat die Zahl der psychischen Probleme bei jungen Menschen einen neuen Höhepunkt erreicht. Auch gerade jetzt, in Zeiten von Krieg in einem Land, das gerade einmal sechs Stunden von uns entfernt ist, herrscht viel Angst und Unsicherheit mit der Kinder und Jugendliche zu kämpfen haben.

Doch die Auswirkungen der Pandemie und des Krieges sind nur die Spitze des Eisberges. Laut einer Studie der Donau-Uni-Krems leidet mehr als jeder zweite Jugendliche an depressiven Symptomatiken und jeder sechste denkt darüber nach sich das Leben zunehmen. Das sind erschreckende Zahlen über die wir reden müssen.

Was bedeutet das für Schüler*innen?

Reithmaier: Schüler*innen haben es oft nicht einfach. Zu Pubertät, älter und erwachsen werden, schulischem Leistungsdruck und den persönlichen (Alltags-)Problemen gesellen sich Versagens- und Verlustängste und in letzter Zeit immer mehr schlechte Nachrichten aus der Welt. Das alles hat Einfluss auf die psychische Gesundheit. Ausgehend von der Schüler*innenzahl der Statistik Austria für das Schuljahr 2020/21 sind über 570.000 Schüler*innen von depressiven Symptomatiken betroffen und rund 190.000 Schüler*innen haben Selbstmordgedanken.

Warum haben Sie die Initiative ins Leben gerufen?

Reithmaier: Wir wollen auf die Wichtigkeit von Mental Health bei Kindern und Jugendlichen hinweisen. Uns ist wichtig, das Thema psychische Gesundheit zu enttabuisieren, Bewusstsein dafür zu schaffen und Kinder und Jugendliche dazu zu ermutigen, offen darüber zu reden und sich gegebenenfalls Hilfe zu holen. Die große Vision hinter der Initiative ist, dass wir über psychische Gesundheit genauso offen sprechen können, wie zum Beispiel über Zahnweh. Es soll genauso „normal“ sein zur Psychologin zu gehen, wie zum Zahnarzt.

Was ist die Initiative „Gut, und selbst?“ und was macht sie aus?

Reithmaier: Wir sind eine breite Initiative von vielen NGOs, Vereinen, Unternehmen und Institutionen, denen die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ein Herzensanliegen ist. Unser Ziel ist es, alle Projekte und Initiativen, die es bereits zu dem Thema gibt, zu bündeln und im Zeichen der Stärke und Größe gemeinsam als Initiative „Gut, und selbst?“ aufzutreten. Zu den Initiator*innen von „Gut, und selbst?“ gehören die Schülerunion Österreich, IstOkay.at, der Österreichische Bundesverband für Psychotherapie und die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.

Die Initiative baut auf drei Wirkungsbereichen auf: dem kurzfristigen, dem mittelfristigen und dem langfristigen Wirkungsbereich. Kurz und mittelfristig haben wir den Anspruch an uns, die Sachen selbst in die Hand zu nehmen. Hierunter fallen zum Beispiel Schulworkshops, eine Schulstunde zum Thema Psychische Gesundheit oder auch die Erstellung von Leitfäden für Schülerinnen und Schüler sowie Erziehungsberechtigte und vieles mehr. Um auch für politische Veränderung zu sorgen, haben wir unser Mental Health Jugendvolksbegehren inklusive unserem Forderungspapier gestartet. Hier haben wir von Dezember bis Jänner über 20.000 Unterstützungserklärungen gesammelt.

Was können Lehrer*innen tun?

Reithmaier: Lehrerinnen und Lehrer können einen wesentlichen Beitrag zur Früherkennung psychischer Probleme leisten. Es geht im Wesentlichen darum, aufmerksam zu sein, Gefühle zu deuten und Verhaltensweisen zu erkennen, die Frühwarnzeichen für psychische Probleme sein können. Darunter fallen Energie- und Appetitlosigkeit, Schlafmangel durch (Ein-)Schlafstörungen, das Gefühl von Hilfs- und Hoffnungslosigkeit, unerklärliche Schmerzen, starke Stimmungsschwankungen, Gefühllosigkeit, die Unfähigkeit alltägliche und schulische Aufgaben zu erledigen, das sich Zurückziehen von Menschen und üblichen Aktivitäten usw.

Als Lehrer*in hat man eine Vorbildwirkung und wird von Schüler*innen oft als Vertrauensperson gesehen. Falls Sie also merken, dass eine Schülerin oder ein Schüler von Ihnen eine der oben genannten Symptome zeigt, sprechen Sie sie/ihn in einem vertraulichem Vier-Augen-Gespräch an. Fragen Sie, wie es ihr/ihm (wirklich) geht und teilen Sie ihm/ihr Ihre Beobachtungen mit. Wichtig dabei ist, dem/r Schüler*in auf Augenhöhe zu begegnen, sich nicht aufzudrängen und mit Ich-Botschaften wie „Ich habe bemerkt/Mir fällt auf …“ zu kommunizieren.

Wenn Sie sich nicht sicher sind, ob das Verhalten einer Schülerin oder eines Schülers merklich und symptomatisch verändert hat, können Sie auch eine andere vertraute Lehrperson, die die betroffene Person unterrichtet oder zumindest gut kennt nach deren Meinung fragen. Neben der eigenen Wahrnehmung kann eine zweite Sichtweise sehr bereichernd sein. Hier ist wichtig, dass dieses Gespräch im Vertrauen abgehalten wird und der/die Betroffene nicht zum Tratschthema des Lehrer*innenzimmers wird.

Ob die Eltern informiert werden sollen ist vom Alter der Schülerin bzw. des Schülers abhängig. Einem Volksschulkind muss anders geholfen werden als einem/r 14-Jährigen. Auch die Ursachen für die Probleme sind ausschlaggebend. Wenn die Gründe geheim oder familiär bedingt sind, sollten die Eltern nicht oder zumindest nicht sofort dazu geholt werden. In jedem Fall sollte die betroffene Person zuerst informiert werden.

Das Schlimmste ist, wenn Sie gar nichts sagen. Vielleicht steckt doch mehr dahinter als ursprünglich angenommen.

Was können Lehrer*innen tun, wenn es ihnen selbst nicht gut geht?

Reithmaier: Auch für Lehrerinnen und Lehrer kann die derzeitige Lage an Weltgeschehnissen belastend sein. Und nur, weil Personen das Erwachsenenalter bereits erreicht haben, heißt es noch lange nicht, dass sie traumatische Erlebnisse ohne weiteres verarbeiten können. Gerade wenn dann auch noch ein/e Schüler*in mit verständlichen Ängsten, Sorgen und anderen belastenden Inhalten zu Ihnen kommt, kann es einen treffen.

Daher auch an alle Lehrer*innen die Bitte, falls es Ihnen selbst nicht gut gehen sollte oder Sie eine kritische Situation mit einem/r Schüler*in besprochen haben und nicht weiter wissen: Holen Sie sich professionelle Hilfe! Es braucht nicht gleich eine schwerwiegende psychische Erkrankung, um darüber zu reden wie es einem geht und warum es einem gerade nicht gut geht. Darüber reden hilft.

An jeder Schule gibt es schulpsychologisches Personal, wenn auch noch zu wenig. Außerhalb der Schule gibt es weitere Unterstützungsangebote, wie Rat auf Draht, Psychotherapiesuche im eigenen Bundesland, Open2Chat und vieles mehr. Nutzen Sie dieses Angebot! Sowohl selbst, wenn Sie es benötigen (und ja, es ist vollkommen in Ordnung Hilfe in Anspruch zu nehmen, dafür ist sie ja da) und machen sie auch Schüler*innen darauf aufmerksam.


Carina Reithmaier
Foto: gutundselbst.at

 

Carina Reithmaier, Initiatorin von “Gut, und selbst?„ und des Mental Health Jugendvolksbegehrens sowie Bundesobfrau der Schülerunion Österreich

 

 

 


Quellen:

Initiative Gut und Selbst

Statistik Austria

https://www.mentalhealth.gov/basics/what-is-mental-health