schliessen

ChatGPT gibt uns die Chance, Bildung neu zu denken

Smart Young Boy Works on a Laptop For His New Project in His Computer Science Class.
Foto: gorodenkoff / Getty Images - iStockphoto

Expert*innen sind sich einig: KIs, wie ChatGPT werden den schulischen Alltag und Unterricht verändern. Welche Herausforderungen und Chancen das mit sich bringt und welche Rolle eine digitale Grundbildung dabei spielt, haben wir Medienpädagoge Thomas Schroffenegger gefragt.

Zur Person

Prof. Thomas Schroffenegger MAS, MSc, BEd hat in beratender Tätigkeit am öbv Lehrwerk vernetzt – Digitale Grundbildung und bei der Umsetzung des E-Book+ mitgewirkt. Zudem ist er Dozent an der PH Vorarlberg für die Bereiche Fachdidaktik Mathematik und Medienpädagogik.


Foto: Thomas Schroffenegger

Herr Schroffenegger, bitte stellen Sie sich kurz vor!

Ich habe meine ersten 12 Dienstjahre nach dem Lehramtsstudium Mathematik und Informatik in der Mittelschule und 18 Jahre lang Informatik an der HTL Dornbirn unterrichtet. Seit 2003 bin ich hauptberuflich Dozent an der PH Vorarlberg für Mathematik-Didaktik und Medienpädagogik. Für den öbv habe ich als Co-Autor am Sommertraining Mathematik mitgearbeitet und geholfen die Onlineaufgaben von Das ist Mathematik und vernetzt – Digitale Grundbildung umzusetzen, wo ich auch als Berater unterstützt habe. Zudem bin ich Herausgeber von www.typewriter.at und www.matholino.com.

Das Fach Digitale Grundbildung ist seit dem Schuljahr 2022/23 ein Pflichtfach in der Sekundarstufe I. Warum halten Sie das für sinnvoll?

Nachdem das Leben unserer Schüler*innen weitgehend durch moderne Technologien bestimmt ist, wurde es höchste Zeit, dass eine Neudefinition einer zeitgemäßen Allgemeinbildung erfolgt und curriculare Berücksichtigung findet.

Während ein beträchtlicher Teil der österreichischen Schulen schon vorher eigene vielversprechende Konzepte im Rahmen schulautonomer Möglichkeiten geschaffen hatte, ist der neue Lehrplan und die Berücksichtigung des Pflichtfachs ein deutliches Zeichen für eine Standardisierung des Angebots.

Er bietet die notwendige inhaltliche Breite und mit 4 – 11 Stunden in der Stundentafel auch einen entsprechenden Umfang für ein Unterrichtsangebot, welches für die Etablierung vernetzter Kompetenzen der Schüler*innen geeignet sein kann.

Foto: John Schnobrich | Unsplash.com

Welche Skills sollten Schüler*innen im Rahmen dieses Schulfachs erwerben?

Bildung sollte dazu befähigen, das eigene Leben selbstbestimmt und verantwortungsvoll zu gestalten und eine demokratische Gesellschaft aktiv mitzugestalten. Es kommt darauf an, die Aspekte technischer Möglichkeiten vor dem Hintergrund ethischer und pädagogischer Dimensionen zu beleuchten. Insbesondere geht es darum, über aktive gestalterische Tätigkeiten der Schüler*innen ein entsprechendes Bewusstsein und praktische Kompetenzen zu schaffen und diese verantwortungsvoll und sinnstiftend einzusetzen. So sollten Kinder beispielsweise in der Lage sein, mit Hilfe von Computersystemen Texte, tabellarische Daten, Algorithmen und multimediale Objekte effizient zu erfassen und zu erstellen. Dabei müssen mittels gestalterischer Aufgaben Gelegenheiten geschaffen werden, die eine Interpretation von Verzerrung, Datenschutz und Medienethik zulassen.

Nicht zuletzt sollte die eigene Rolle im eigenen medialen Umfeld reflektiert und diskutiert werden können. Das klassische Lernen von Lesen, Schreiben und Rechnen war noch nie rein mechanisch zu verstehen. Sondern es zielt auch in einer technisierten Welt darauf ab, kritisches Denken, Problemlösungsfähigkeiten, Teamarbeit und kreatives Denken zu fördern.

In diesem Sinne sollten die Kinder auch in diesem Unterrichtsgegenstand digitale Medien durchsuchen, interpretieren, auswerten, reflektieren (Lesen), erfassen, gestalten, präsentieren, austauschen (Schreiben) und Problemstellungen systematisch abbilden, algorithmieren sowie lösen (Rechnen) usw.

Foto: Rolf van Root | Unsplash.com

ChatGPT sorgt derzeit für großes Aufsehen in den Medien. Vor allem die Auswirkungen auf Schule und Unterricht bereiten vielen Lehrer*innen Sorgen. Wie sollen Lehrpersonen damit umgehen und wie können sie sich darauf vorbereiten?

Es scheint gesichert, dass viele der aktuellen Begrenzungen von ChatGPT weitgehend durch Skalierung bereits vorhandener Elemente technisch überwindbar sind und eine massive Weiterentwicklung bevorsteht. Auch wenn viele rechtliche und pädagogische Fragen noch einige Zeit ungeklärt sein werden, sehe ich den dringenden Bedarf einer ausführlichen Beschäftigung mit diesem Thema durch alle Lehrpersonen. Dabei sollte man in jedem Fall einschlägige Bildungsangebote nutzen, sich aber auch selbst Zeit nehmen, um mit dem Werkzeug zu arbeiten. Diese Beschäftigung sollte alles andere als oberflächlich erfolgen und in Anbetracht der zu erwartenden stetigen Weiterentwicklung regelmäßig geschehen. Abhängig von Altersgruppe, Unterrichtsgegenstand und didaktischem Konzept bietet das Werkzeug vielseitige Anwendungsmöglichkeiten!

Mit ChatGPT ist neben Büchern, Webseiten, YouTube-Videos usw. schlichtweg eine weitere innovative Art von Informationsquelle dazugekommen. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn wir uns darin üben, diese Informationen analog zu allen anderen Quellen entsprechend zu bewerten und kritisch zu hinterfragen.

monkeybusinessimages / Getty Images – iStockphoto

Wenn wir wollen, dass die Kinder nicht nur für die Schule, sondern auch für das Leben lernen, wird man sich mit den Möglichkeiten und Gefahren dieser Technologie im Unterricht auseinandersetzen müssen. Ich halte das für eine große Herausforderung aber sicher auch für eine Chance, Bildung neu zu denken.

Das Problem vorgetäuschter Leistungen mittels KI im Sinne der Leistungsbeurteilungsverordnung § 11 Abs. 4 sehe ich für die Sekundarstufe 1 wenig aufgeregt. Zwar darf man demnach einen KI-generierten Text nicht als eigene Schöpfung zur Beurteilung abgeben. Dasselbe gilt aber natürlich auch für Texte, bei deren Erstellung die Eltern „geholfen“ haben, was zuletzt wohl die am meisten verbreitete Praxis vorgetäuschter Leistungen und ein erhebliches Problem für die Bildungsgerechtigkeit darstellt. Ich gehe davon aus, dass derartige Werkzeuge in kurzer Zeit zur Standardausstattung für die Bewältigung alltäglicher Denkaufgaben werden und eine lange Liste schulpädagogischer Fragestellungen zu klären sein wird.

Eine Schule, die diese Werkzeuge ignoriert, ist kaum dazu geeignet, auf zukünftige Herausforderungen in Alltag und im Beruf vorzubereiten.

Können Sie uns ein Beispiel geben, wie man ChatGPT sinnvoll in den Unterricht einbinden kann?

ChatGPT ist ein hervorragender Programmierlehrer. Arbeitsschritte zur Lösung mathematischer Aufgaben können im Grunde als Algorithmen verstanden werden und eigenen sich hervorragend für eine Abbildung in einfachen Computerprogrammen. Auch wenn Programmieren nicht expliziter Inhalt im Mathematik-Lehrplan ist, versprechen solche Variationen einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn, insbesondere weil damit einfach modelliert werden kann. Hier könnte Fächerübergreifend mit digitaler Grundbildung und Mathematik gearbeitet werden.

Schüler*innen können ChatGPT beispielsweise folgende Anweisung geben: „Schreibe ein einfaches Programm in Python, welches als Rechenhilfe für die Berechnung des Flächeninhalts beim Trapez eingesetzt werden kann“. Daraufhin wird folgender Code ausgegeben:

# Eingabe der Trapezmaße
a = float(input(“Länge der unteren Seite: “))
c = float(input(“Länge der oberen Seite: “))
h = float(input(“Höhe des Trapezes: “))

# Berechnung des Flächeninhalts

A = (a + c) * h / 2

# Ausgabe des Ergebnisses
print(“Der Flächeninhalt des Trapezes beträgt:„, A)

Anschließend kann ChatGPT bei jeder Codezeile um Erklärung gebeten werden. Diese Erklärungen werden notiert und helfen, den Code an andere Aufgabenstellungen anzupassen. Zum Schluss wird der Code von den Kindern zur Berechnung des Flächeninhaltes anderer Figuren umgebaut.

Vielen Dank für das Interview!

Tags : chatgptDigitale GrundbildungDigitale KompetenzenLehrplanNeuer LehrplanSekundarstufe 1vernetzt