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Aus der Schule in den öbv: Eine Lehrerin wechselt die Seiten

Die Initiative Seitenwechsel ermöglicht es Lehrkräften, für ein Jahr in einem Unternehmen neue Perspektiven für den Schulalltag zu gewinnen und Brücken zwischen Schule und Privatwirtschaft zu bauen. Barbara Lehner-Jettmar, die seit sieben Jahren Werken und Bildnerische Erziehung unterrichtet, hat heuer den Schritt gewagt und arbeitet ein Jahr lang im öbv in den Bereichen Grafik und Webinare mit. Im Interview verrät sie uns, was sie an der Arbeit im öbv am meisten überrascht hat und welche Ideen sie mit zurück in die Schule nehmen wird.

Barbara, schön, dass du uns für ein Jahr im öbv unterstützt. Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, einen Seitenwechsel zu machen?

Ich habe im Radio, auf Ö1, einen Beitrag dazu gehört und mir gedacht: Eigentlich bin ich damals direkt von der Schule ins Studium gestartet und nach dem Studium habe ich sofort angefangen zu unterrichten. Ich habe nie etwas anderes ausprobiert und wollte schon immer gern wissen, wie das Arbeiten in der Privatwirtschaft so ist. Aber ich wollte natürlich meinen Job in der Schule nicht verlieren. Als ich gehört habe, dass es über das Programm Seitenwechsel möglich ist, ein Jahr in die Privatwirtschaft zu wechseln und dann wieder zurück an seine Schule zu kommen, war das die ideale Möglichkeit.

Warum hältst du Seitenwechseln für ein gutes Konzept?

Ich finde es großartig, dass ich als Lehrerin die Gelegenheit bekomme, über den Tellerrand des Schulsystems zu schauen und andere Erfahrungen zu machen. Dadurch bekomme ich auch Ideen, wie ich den Unterricht und den Schulalltag verbessern kann. Außerdem freut es mich, dass wir Seitenwechsler*innen bei Kolleg*innen aus der Privatwirtschaft ein Bewusstsein dafür schaffen können, wie der Berufsalltag von Lehrer*innen aussieht. Das Klischee „Die arbeiten nur vormittags und haben noch dazu ständig Ferien“ ist noch weit verbreitet, aber entspricht eben nicht der Wahrheit. Unterrichtsvorbereitung und Korrekturarbeit nehmen viel Zeit ein, das Managen einer Klasse ist sehr anstrengend und Lehrerinnen und Lehrer müssen viele Materialkosten aus der eigenen Tasche bezahlen. In der Privatwirtschaft bekommst du deinen Laptop, dein Büromaterial und kannst du alles Mögliche über die Firma abrechnen, aber Lehrerinnen und Lehrer können das nicht, wir bekommen meistens nicht einmal Stifte und einen Locher. Diese Aspekte werden in der Öffentlichkeit meist nicht wahrgenommen.

Beim öbv als Bildungsunternehmen bist du ja in einer schulnahen Branche gelandet. Gefällt dir das oder hättest du lieber etwas ganz anderes gemacht?

Für mich war eigentlich nicht die Branche entscheidend, sondern die Tätigkeit. Ich habe kürzlich neben dem Unterrichten eine Ausbildung in Grafik und Kommunikationsdesign an der Graphischen abgeschlossen und wollte gern die dort erworbenen Kenntnisse in der Praxis einsetzen und erweitern. Weil das beim öbv möglich ist, bin ich froh, hier gelandet zu sein. Und natürlich ist es auch hilfreich, wenn man sich nicht in alles komplett neu einarbeiten muss. Ich kenne das System Schule, ich weiß, wie Lehrer*innen arbeiten. Da sowieso sehr vieles neu ist, ist es auch schön, schon gewisse Anknüpfungspunkte zu haben.

öbv-Geschäftsführer Maximilian Schulyok mit Seitenwechslerin Barbara Lehner-Jettmar


Ist dir der Umstieg leichtgefallen? Woran musstest du dich erst gewöhnen?

Grundsätzlich ist mir der Umstieg nicht besonders schwergefallen, auch wenn vieles ganz anders ist als in der Schule. Die Umstellung aufs Nine-to-Five-Arbeiten finde ich noch gewöhnungsbedürftig und manchmal anstrengend. Lehrer*innen arbeiten auch einmal am Abend oder am Wochenende, zum Beispiel weil sie Unterricht vorbereiten oder Schularbeiten benoten, aber dafür arbeiten wir meistens nicht acht Stunden am Stück mit nur einer Mittagspause von einer halben Stunde. Das ist schon eine Umstellung. Gerade das lange Arbeiten am Computer mit wenig Ortswechseln kostet mich Energie. Ich denke mir zurzeit oft: Hut ab vor meinen Freund*innen, die nach so einem Job abends noch die Motivation haben, Sport zu machen. Vermutlich ist das einfach Gewöhnungssache, aber im Moment bin ich dafür nach einem Arbeitstag oft noch zu erschöpft.

Was gefällt dir an der Arbeit im öbv?

Die Flexibilität ist wirklich angenehm. Im öbv gibt es auch Kernzeiten, zu denen man hier sein sollte, aber wenn man mal zehn Minuten später kommt, ist das meistens kein Problem. Wenn ich in der Schule zehn Minuten zu spät komme, wartet meine Klasse auf mich und verliert Unterrichtszeit. Das ist schon ein Problem und man bekommt unter Umständen gleich einen Anruf aus dem Sekretariat. In meinen Zeiten in der Schule renne ich deswegen öfter einmal, wenn es zum Beispiel eine U-Bahn-Störung gab und ich deswegen spät dran bin.

Im öbv bekomme ich definitiv auch mehr Wertschätzung als in der Schule. Es wird positiv wahrgenommen, was ich leiste – selbst wenn ich jetzt am Anfang mal etwas nicht weiß oder einen Fehler mache – und ich höre oft mal ein Dankeschön. In der Schule ist das seltener der Fall. Meine Schüler*innen kommen ja meistens nicht nach der Stunde zu mir und sagen: Danke, dass Sie uns unterrichtet haben. Das erwarte ich natürlich auch nicht, aber es hier anders zu erleben, genieße ich schon.

Was an deinem Arbeitsalltag unterscheidet sich noch von dem in der Schule?

Die Schule ist eher ein geschlossenes System. Wenn ich im Unterricht versehentlich das falsche Material mitbringe, merken es erst einmal nicht sehr viele Menschen. Wenn ich aber zum Beispiel am Online-Magazin des öbv arbeite und auf den falschen Button klicke, stelle ich einen unfertigen Artikel öffentlich für alle sichtbar ins Internet. Das kann unter Umständen viel weitere Kreise ziehen.

Auch bin ich von der Schule gewohnt, dass es oft nicht möglich ist, etwas Neues zu machen. Beim öbv arbeite ich viel mit dem Marketing-Team zusammen und da gibt es viel mehr Raum zum Ausprobieren. Jetzt bin ich manchmal diejenige, die Bedenken äußert oder sich nicht vorstellen kann, dass etwas Neues funktioniert – da bin ich aus der Schule einfach ein anderes Arbeiten gewohnt.

Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist, dass im Verlag innerhalb der Arbeitszeit Raum und Zeit für Meetings und Besprechungen eingeräumt wird. In der Schule setzen sich Kollegen*innen zumeist unbezahlt in ihrer Freizeit zusammen, um sich fachlich auszutauschen.

Was vermisst du an der Schule?

Die Selbstständigkeit in Entscheidungsprozessen und Verantwortung für eine Klasse fehlen mir etwas. Im Verlag arbeite ich eher aufgaben- und weniger projektorientiert, bin also nicht für ein ganzes Projekt alleine zuständig und entwickle es. Und zugegebenermaßen vermisse ich die Ferien ein bisschen.

Welche Fähigkeiten und Erfahrungen, zum Beispiel aus der Schule, kannst du hier einbringen?

Ich kann natürlich meine Fähigkeiten in Grafik und Design einbringen, die ich an der Graphischen erworben habe. Dabei merke ich schon, dass die Ausbildung dort fundiert war. Ich bekomme häufig positives Feedback dafür, dass ich das Corporate Design wichtig nehme und keine Probleme habe, mich an die Vorlagen und Regeln zu halten. Und was ich als Lehrerin auf jeden Fall kann: mit Menschen zu arbeiten, auf ihre Bedürfnisse einzugehen und ihnen zuzuhören. Das ist auch in einem Unternehmen eine sehr wichtige Fähigkeit, sei es mit den direkten Kolleg*innen oder darüber hinaus. Hier im öbv hat sich zum Beispiel schon einige Male gegen Feierabend ein Gespräch mit der Reinigungskraft ergeben. Da hätte ich leicht sagen können: Nein, ich will jetzt nach Hause. Mir war es aber wichtig, ihr ein paar Minuten zuzuhören und ihr zu zeigen: Ich nehme dich wahr.

Als Lehrerin bist du ja eher eine Einzelkämpferin. Wie gefällt dir das Arbeiten im Team?

Stimmt, in der Schule bin ich schon Einzelkämpferin. Das bin ich so gewohnt. Ich finde es total cool, mich hier mit Kolleg*innen austauschen und gemeinsam Dinge entwickeln zu können. In manchen Projekten, bei denen ich mich sehr eng mit anderen abstimme, ist es für mich aber auch ungewohnt. Übrigens: In begrenztem Ausmaß gibt es in meiner Schule auch die Möglichkeit zum fachübergreifenden Arbeiten. Zum Beispiel versuche ich, einmal im Jahr mit einer Chemielehrerin ein Thema gemeinsam zu behandeln. Aber das ist oft schwer umzusetzen, wenn zum Beispiel in meinen Jahresplan das Thema besser im Herbst passt und in ihren im Frühjahr.

Was hast du beim Seitenwechsel schon an Neuem gelernt?

Ich habe auf jeden Fall einiges über Marketing gelernt. Und darüber, wie die Struktur von Unternehmen genau aussieht. Ich hatte erwartet, dass beim öbv vor allem Autor*innen und Redakteur*innen sitzen und vielleicht eine Person, die das Layout macht. Wie viele andere Bereiche aber nötig sind, damit Bildungsmaterialien entstehen, konnte ich mir vorher in dem Ausmaß nicht vorstellen: Marketing, HR, digitale Produktentwicklung und so vieles mehr.

Welche Erfahrungen nimmst du mit zurück in die Schule? Welchen Einfluss wird der Seitenwechsel auf deinen zukünftigen Schulalltag haben?

Zum einen ist im Seitenwechsel-Konzept vorgesehen, dass wir alle ein Rückkehrprojekt umsetzen. Das entwickle ich schon jetzt, während ich im öbv bin, damit ich dann auch etwas ganz Konkretes mit zurück in die Schule nehmen kann. Bei meinem Projekt wird es zum Beispiel um Onboarding gehen: Wie kann man auch in der Schule neues Personal, neue Lehrer*innen ganz bewusst willkommen heißen und in all die Dinge einschulen, die sie am Anfang wissen müssen. Dazu habe ich hier im öbv total viel Wertvolles mitgenommen. Ich würde auch gern an einer bewussteren internen Kommunikation arbeiten, zum Beispiel ein wöchentliches kurzes Meeting aller Mitarbeitenden anregen, wie es der öbv hat. Das ist allerdings in einer Schule viel schwieriger, weil zum Beispiel alle Lehrenden verschiedene Stundenpläne haben. Für mich persönlich und mein eigenes Arbeiten und Unterrichten nehme ich mir einiges aus dem Bereich Digitalisierung und Projektmanagement mit. Und ich werde versuchen, meinen Schüler*innen mehr Gesprächsmöglichkeiten anzubieten, in denen sie individuelles Feedback bekommen können. Das erlebe ich hier im öbv nämlich auch sehr positiv.

Was ich auch sehr schätze und unbedingt mit zurück in die Schule nehmen will: Hier haben wir vor Meetings oft ganz kurze Check-ins oder unsere Vorgesetzte kommt vorbei und fragt uns, wie gerade die Stimmung ist und wie es uns geht. Das ist für ein gutes Arbeiten und offenes Miteinander-Umgehen total wichtig. Vielleicht kann ich das auch mit meinen Schüler*innen umsetzen und sie einfach öfter mal am Stundenanfang kurz fragen: „Wie geht es euch? Wie war die Mathe-Schularbeit? Was läuft gerade gut? Was macht euch zu schaffen?“ Wenn man für einen Moment als Person wahrgenommen wurde und Dampf ablassen konnte, hilft das oft, sich danach wieder fokussieren zu können.

Übrigens: Für alle Lehrkräfte, die selbst Lust auf einen Seitenwechsel bekommen haben – die Bewerbung für Herbst 2023 ist noch bis 31. Jänner 2023 offen.